Bauls sind eine Art Minnesänger, die eine spirituelle Praxis (Sadhana) pflegen. Sie leben als Singles oder Paare meist am Rande von Dörfern im Nordosten von Indien (meist Bengal) oder ziehen dort singend durch die Lande. Sie sind wie Mönche bekleidet, sind meist arm und leben von Essen und Spenden, die sie durch ihre spirituellen Gesänge erhalten. Man kann sie leicht um den Jahreswechsel herum an grösseren Jahrmärkten in der Gegend von Birbum antreffen, z.B. in Shantiniketan.

Einige Bauls sind einer Pfeife Hanf und einer recht sinnlichen Lebensweise nicht abgeneigt. Das Wort Baul enthält bereits die Bedeutung von Verrücktheit, verrückt in der Liebe zu Gott und vielleicht auch in ein paar weiteren Aspekten. Für Besucher:innen aus dem Westen und manche Einheimische ist es nicht immer einfach, echte Bauls, die ihre Tradition bewusst pflegen von ähnlich bekleideten Sängern oder Partygängern zu unterscheiden. Auch wissen Aussenstehende nicht ganz genau, was zur Praxis von Bauls gehört. So sind in der Bevölkerung recht unterschiedliche Haltungen gegenüber den Bauls zu sehen, die von Ablehnung oder Verachtung über vorsichtige Distanz, ängstliche Neugierde oder interessiertem Zuhören bis zu Respekt, Bewunderung und Verehrung geht.

Die Texte der Baul-Lieder schildern meist die Liebe zu Menschen, zum Göttlichen und nicht zuletzt zum Herz oder göttlichen Innern von sich selber. Oft sind gleichzeitig zwei Bedeutungsschichten enthalten, wie es in tantrischen Texten häufig vorkommt: Eine äussere Schicht, die gerne viele erotische Details schildert, z.B. über die Liebesbegegnung zwischen Krishna und Rada oder zwischen Shiva und Shakti unterhält die allgemeinen Zuhörer:innen aus dem Volk. Gleichzeitig reflektiert eine innere Schicht z.B. die universelle Liebe, die schöpferische Kraft der Sadhana (z.B. Tantra, Meditation) und den eigenen Versuch, mit der Seele, dem göttlichen Licht und mit allem irdischen Sein eins zu werden.

Die Baul-Kultur gibt es seit 1500 Jahren, vermutlich schon deutlich länger. Sie ist aus dem Tantra des Buddhismus und des Hinduismus, aus dem Sufismus des Islam und aus der Bhakti-Praxis (durch deren Lobgesänge) entstanden.

Ihre Weltanschauung ist verwandt mit christlicher Mystik und mit Tantra. Das kann sich darin zeigen, dass…

• alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Religionszugehörigkeit, Kaste, gesellschaftlicher Rolle oder Reichtum gleich sind,
• das irdische Leben auch die göttliche Shäre widerspiegelt,
• der eigene Körper als Tempel für das Göttliche betrachtet wird,
• Bauls u.U. mit Partner:in eine Liebesbeziehung pflegen, wie wenn Shiva mit Shakti oder Krishna mit Radha Liebe machen würde,
• in allfälliger Sexualität mehr als nur Zeugung oder körperliche Lust angestrebt wird, sondern auch Schöpferkraft für alles Schöne auf dieser Welt bis hin zu kosmischer Ekstase und zum Eins Werden mit Allem.

Die Baul-Tradition repräsentiert einen Bereich des Tantra, der bewusst künstlerische Praxis (vor allem Musik, Tanz und Poesie) zu spiritueller Weltanschauung, Meditation und Energiearbeit hinzu nimmt.

Die Poesie des Nobelpreisträgers Rabindranath Tagore ist stark von der Baul-Tradition beeinflusst.

Ein paar Medien über Bauls in Videos oder in Musik-Plattformen sind:

• Goutam Das Baul & Rina Das Baul: „Sonar Pakhi Robe Na Pocha Khachate“ (Der goldene Vogel wird nicht in deinem faulen Käfig bleiben) in einem traditionellen Umfeld von Shantiniketan.
• Goutam Das Baul: „Milon Hobey Koto Diney“ in einem modernen indischen Filmclip über die Frage: Wann werde ich meiner anderen Hälfte begegnen?
• Parvati Baul, eine junge Baul und Lehrerin mit grosser Ausstrahlung, die ihre Songs manchmal kommentiert, z.B. Videoclips bei  Ajabshahar, auf youtube oder auf ihrer eigenen Website mit einer deutschsprachigen Seite.
• In der umfangreichen Sammlung von Malik Bharosa treten viele weitere Bauls auf.
• The Way of Baul, ein Dokumentarfilm auf Englisch von Petr Olshevsky gibt einen guten Überblick über die Bauls. 
• Wenn Du magst, kannst Du im Web nach weiteren Bauls suchen, z.B. Purna Das Baul, Baul Samrat, Urban Baul, Anikel Nandi, Lal Muhammad, Kulavadhuta Satpurnananda, Mala Maa & Nanda Baba, Kartik Das Baul, Deepak Baul, Dibyendu Das, Sidharath Sankar Sidhu Ray, Kartik Das Baul, Vikram Sampath, Amanat Fakir