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Liebe, Beziehung(en), Sexualität und Spiritualität im Alter

Beschäftigst Du Dich mit Veränderungen und Qualitäten von Liebe, Beziehung(en), Sexualität und Spiritualität im Alter?
Dann bist Du hier richtig.

Inhaltsübersicht
  • Welches Alter ist eigentlich gemeint?
  • Sex im Alter – Gibt es das?
  • Zärtlichkeit und Sexualität tragen zu einem glücklicheren und längeren Leben bei
  • Einschränkungen in der Sexualität
  • Sexualität im Alter will (neu) gelernt sein 
     

Welches Alter ist eigentlich gemeint?

Vielleicht fühlen wir uns immer alt oder jung in unserem Leben, egal welches Geburtsjahr wir haben. Auch Lebenskraft, Liebe, Sexualität, Gesundheit oder Krankheit und Sterben kommen in jedem Alter vor und haben je nach Lebensabschnitt eine je eigene Bedeutung. Trotz Wissen um diese Relativität dürfen wir ein paar vermutlich typische Eigenheiten des Alters herausschälen.   

Junge Alte werden Menschen zwischen ca. 60 und 75 bezeichnet. Viele Menschen dieser Altersgruppe fühlen sich meistens noch fit und unternehmungslustig. Ihre Kraft und Gesundheit haben vielleicht etwas nachgelassen, aber sind meist noch zufriedenstellend und relativ konstant da. Das sind auch die Jahre, wo die Chance besteht, mit entsprechender Vorsicht Lieblings-Aktivitäten zu pflegen oder neu zu entdecken, die bisher wegen beruflicher und familiärer Pflichten zu kurz gekommen sind. Auch die Beziehungspflege kann sich von der Paarbeziehung und Familie auf die Enkelkinder und auf die Eltern, sofern sie noch leben, ausdehnen.

Alte Alte werden Menschen ab ca. 75 Jahren genannt. Menschen dieser Altersgruppe lernen, mit gesundheitlichen und mentalen Einschränkungen und mit der Endlichkeit unseres Lebens umzugehen. Ein Aufräumen und Loslassen in verschiedenen Aspekten des Lebens können dazu gehören. Auch Gelassenheit, Frieden, Dankbarkeit und eine Ausweitung der Liebe können wichtigere Werte dieser Lebensphase werden

Hochaltrige werden Menschen ab ca. 80 Jahren bezeichnet. Deren Zahl nimmt in unserer heutigen Gesellschaft zu, und es scheint, dass sogar mehr Menschen über hundert Jahre alt werden.

Diese drei Phasen im sogenannten Alter können somit einige Jahrzehnte bis fast die Hälfte des ganzen Lebens ausmachen. Die persönlichen Befindlichkeiten und Ausdrucksformen können so vielfältig sein wie sie in der Kindheit oder dem jungen Erwachsenenalter auch möglich waren. Ebenso können sie vor oder nach den beschriebenen Phasen auftreten.

Interessanter wird jedoch, die typischen Merkmale, Rahmenbedingungen und die Potentiale zu erfahren, die in diesen Lebensphasen erkannt werden. In diesem Text hier fokussiere ich mich dabei auf unsere üblichen Schwerpunktthemen Liebe, Beziehung(en), Sexualität, Spiritualität und Entfaltung.

Sex im Alter – Gibt es das?

Bis vor wenigen Jahren haben sich die Aufmerksamkeit in der Gesellschaft und die Fragen in der Forschung stark auf jüngere Erwachsene, auf Geschlechtsverkehr und den einen Orgasmus konzentriert. Im weiteren galt es bis vor kurzem als etwas Ungewöhnliches, älteren Menschen eine erfüllende Sexualität, wenn überhaupt irgend eine Sexualität zuzugestehen. Sigmund Freud hatte noch die Vorstellung, dass die sexuelle Entwicklung mit der Pubertät ende und dass Sexualität ab 50 pervers sei.

Inzwischen weiss man, dass eine gelebte Sexualität im Alter sowohl zu einem höheren Wohlbefinden beitragen kann (Smith et al. 2019), als auch, dass positive Zusammenhänge zwischen sexueller Aktivität und körperlicher wie emotionaler Gesundheit festgestellt werden können (Syme et al. 2013). Die Berliner Altersstudie II zeigt im weiteren, dass 30 % der zwischen 60 und 80jährigen Befragten eine höhere sexuelle Aktivität angaben als der Durchschnitt der jüngeren (20-30 Jahre alten) Kontrollgruppe. Das sind Zahlen, die manch jüngeren wie älteren Menschen überraschen dürften.

Mehr und mehr ältere Paare sind auf der Strasse anzutreffen, die wie frisch verliebt einander die Hände halten. Und auch in Medien ist die Kombination Sexualität und Alter öfter ein Thema. Ebenso widmet sich Psychologie vermehrt dem Alter, und auch in Psychotherapien und Sexualberatungen sind mehr ältere Klient:innen anzutreffen.

Zärtlichkeit und Sexualität tragen zu einem glücklicheren und längeren Leben bei

Im höheren Alter können zwar die sexuellen Gedanken und die sportliche Performance sexueller Aktivität und Orgasmen abnehmen. Aber Sexualität als solche müsste aus Altersgründen nicht abnehmen. Im Gegenteil: Es besteht eine höhere Chance für Entspannung, genügend Zeit, Spüren, Flexibilität, Zärtlichkeit, Intimität, sowohl für ein besseres Erfahren des eigenen Körpers, der Liebe und Lust als auch für ein gegenseitiges Verständnis und für Fähigkeiten, es freier fliessen zu lassen.

Ein bis zwei Drittel älterer Menschen scheinen Sexualität in irgend einer Form zu leben, wenn wir wissenschaftlichen Studien trauen möchten und sie richtig interpretieren. Es sind weniger die Häufigkeit von intensiven Orgasmen, von sexuellem Verkehr oder sonstigen sexuellen Ausdrucksformen, die entscheidend sind. Vielmehr wird Intimität als ein Lebenselixier erkannt, das Menschen im Alter glücklicher, gesünder und länger lebendig erhält. Intimität ist also etwas, das wir gerne noch stärker üben und pflegen dürfen. Frauen und Männer empfinden Zärtlichkeiten wie Küssen, Streicheln und Kuscheln mehr und mehr als Ursache für mehr Lebensfreude. Etwas mehr ältere Männer als Frauen sind auch der Meinung, dass Geschlechtsverkehr mehr zur Lebenszufriedenheit beiträgt.

Einschränkungen in der Sexualität

Menschen im Alter scheinen etwas häufiger mit körperlichen, psychischen und psychosexuellen Herausforderungen konfrontiert zu werden als jüngere Menschen.

Körper: Bei einigen macht der Körper nicht mehr mit, einen allzu leistungsorientierten Sex zu pflegen und mehrere Orgasmen pro Tag zu bekommen. Bei einer zunehmenden Zahl von Männern dauert es länger, bis sie erregt sind, und der Penis will nicht mehr jederzeit gerade stehen. Bei Frauen können sich die Vaginalfeuchtigkeit verringern, die Vaginalflora verändern und damit eine stärkere Empfindlichkeit bemerkbar machen. Etwas mehr ältere Frauen als Männer befürchten, weniger attraktiv zu sein als früher, was auch ihre Bereitschaft zu Kontaktaufnahme und zu Sexualität einschränken kann. Operative Eingriffe und die Einnahme von Medikamenten, die im Alter vielleicht etwas wahrscheinlicher werden, können sich ebenfalls negativ auf eine klassische Sexualität mit Geschlechtsverkehr auswirken.

Psychosoziale Herausforderungen im Alter können z.B. wegen dem Eintritt ins Rentenalter, wegen Tod oder zunehmender Pflegebedürftigkeit eines Partners oder der Eltern, wegen geringerer Verfügbarkeit (meist männlicher) Interessenten für eine neue Partnerschaft, wegen restriktiven Vorstellungen bei den Kindern oder bei sich selber gegenüber intimen Begegnungen, wegen Trauer, Scham oder Ärger, dass Sexualität nach bisherigen Mustern nicht mehr selbstverständlich funktioniert oder sich nicht mehr gleich erfüllend anfühlt und wegen zunehmender Vereinsamung auftreten. 

Ethische oder spirituelle Herausforderungen im Alter können z.B. die Tabuisierung von Sex und Alter, die vermeintliche Unvereinbarkeit von Sex und Religion und die Scham sein, sich z.B. eine erotische Massage von ausgebildeten Sexarbeiter:innen zu gönnen. 

Die Versuchung ist gross, sich in Anbetracht von derartigen Herausforderungen ins eigene Schneckenhaus zurückzuziehen, auf nährende intime Begegnungen zu verzichten und die eigene Sexualität als nicht mehr existent zu deklarieren.

Aber für jede erwähnte Herausforderung gibt es Lösungen und neue Wege, die eine Sexualität wieder aufleben, auf neue Art entdecken und erfüllt ins Alltagsleben integrieren lassen.
 Der folgende Abschnitt nennt ein paar Beispiele.

Sexualität im Alter will (neu) gelernt sein

Ältere Menschen dürfen heute also durchaus eine Liebesbeziehung eingehen, Zärtlichkeiten und Sexualität leben, sich in der Öffentlichkeit als Paar zeigen und sich nicht beirren lassen, auch wenn die eigenen Kinder, Verwandten und Nachbarn dem vielleicht noch nicht positiv gegenüberstehen.  Die Umwelt darf durchaus noch flexibler und offener werden.

Aber auch für manche ältere Menschen kann es nötig werden, noch offener und flexibler zu sein, denn nicht selten ändern sich die Umstände des Liebeslebens. Es ist nicht selbstverständlich und vielleicht auch nicht passend, Liebe und Sex nach den selben Mustern wie in früheren Jahren weiter zu pflegen.

Es kann sein, dass körperliche oder psychische Herausforderungen die bisher gewohnte Sexualität verändern und dass neue Wege gefragt sind. 

Vielleicht hat sich das Selbstverständnis als ältere Person so geändert, dass auch das Liebesleben an die neue Situation angepasst werden müsste, um weiterhin als erfüllend erlebt werden zu können.

Auch oder besonders im Alter ist eine physische und mentale Fitness von Bedeutung, die ein altersgerechtes Training erfordert. Fitness trägt ebenfalls zu erfüllterem Liebesleben und zu einem breiten Spektrum emotionaler Zuwendung, gemeinsamer Aktivitäten und sexueller Ausdrucksformen bei.

Jedes weitere Lebensjahr erneuert die Chance, noch etwas gelassender und achtsamer zu werden, unser Herz noch mehr zu öffnen, mehr Dankbarkeit fürs Leben, für liebe Menschen um uns und für die Liebesbeziehung(en) zu empfinden und sich mehr mit dem Grossen Ganzen zu verbinden.

Neben der konventionellen Fitness und der zunehmenden Reife haben wir auch die Chance, die Sexualität und Liebesbeziehung in ihrem Wesen, ihrer Kraft und ihrer Formenvielfalt immer wieder neu zu erleben. Eine persönliche und gemeinsame Praxis der Liebe und Sexualität lohnt sich für ein erfülltes Leben und für eine persönliche Entfaltung bis ins hohe Alter und darüber hinaus.

Wie die erwähnten Bereiche konkret aussehen und praktiziert werden können, ist Gegenstand in Gruppen des Erfahrungskreises und verwandter Organisationen. Wer spezifisch über Liebe und Sexualität im Alter austauschen möchte, findet Gleichgesinnte im Kreis Tantra im Alter. Vermutlich wird es später auch weitere Textbeiträge und eine Liste verfügbarer Medien geben. Jede Person und jedes Paar ist selber verantwortlich, einen passenden Weg in Liebe und Sexualität im Alter zu finden.

Letzte Überarbeitung am 24.9.2023. Erstmals veröffentlicht am 12.9.2023 von Remigius Wagner.